«Beinahe dreimal die Erde wäre erforderlich,
wenn alle wie die Schweizer Bevölkerung leben würden»
Bundesamt für Umwelt

Liebe Leserin, lieber Leser

"n i c h t    v e r s a n d t "

Guten Tag Herr Ritter,

ich lege es gleich offen. Sie gehen mir auf die Nerven. Natürlich nicht Sie als Person. Ich kenne Sie nicht persönlich und kann sehr wohl unterscheiden. Aber Ihre Rolle, die Sie da als oberster Bauer, als Bauer der Nation zelebrieren, macht mich wütend.

Wenn das Fernsehen kommt: Schnell mal die Hemdärmel zurückkrempeln, die Gummistiefel montieren und die Mistgabel in die Hand nehmen und schon sind Sie der tüchtige Schweizer Bauer. Wer wagt es, ihm zu widersprechen!

Dabei sind Sie seit Jahren nur Manager, ein Machtmensch wie kaum jemand im nationalen Parlament. Sie herrschen über Millionen von Subventionsgeldern, die Sie geschickt verteilen unter Ihre Untertanen: die Gemüsebauern, die Weinbauern, die Milchbauern, die… keiner soll zu gross werden, keiner sich mit dem andern arrangieren, es sei denn über Ihren Tisch. Wehe, auch nur jemand wagt die Berechtigung der Millionen von Subventionen anzuzweifeln. Auch wenn es sichtbar wird, dass das Geld kaum dort ankommt, wo man es gern sähe, bei den Familienbetrieben, den wirklichen Bauern, die in einem 7 Tage Rhythmus mit Sorgfalt und viel Engagement für die Konsumentinnen und Konsumenten arbeiten. Diese müssen immer häufiger aufgeben; ihre Arbeit rentiert im big business nicht.

In Ihrer Lesart sind die Umweltverbände, die Tierschützer, die Grünen Schuld, die so gar nichts verstehen. So stellten Sie sich im Juni 2022 in die blühende Landschaft und markieren das Tierwohl direkt in Ihrem Herzen und schwadronieren vom sauberen Grundwasser, das jeder Landwirt selbstverständlich schützt und dann versenken Sie die Agrarinitiativen und gleich auch das CO2 Gesetz. Und jetzt im Juni 2023? Wo sind Sie da? Ihr Verband?

Sie haben mit Avenir Suisse und den bürgerlichen Parteien ein Abkommen geschlossen, künftig nichts mehr zu dulden, was ökologisch gefordert wird. "Geld und Gülle Allianz" spotten die Gegner, was Sie wütend macht. Aber falsch ist es doch nicht oder?

Das Gefühl, in der Landwirtschaftspolitik mit einem Kaffeelöffel an einem Felsen zu schaben, ist Jahrzehnte alt. Einer der ersten grünen Bauern im Parlament, Ruedi Baumann, resignierte; er ging mit seiner Familie nach Frankreich, wo er einen ökologischen Betrieb aufbauen und erfolgreich führen konnte. Die schweizerische Landwirtschaftspolitik duldet seit Jahren keine wirkliche Veränderung: wer immer etwas wagt, wird buchstäblich im Gülleloch versenkt. Da ändern auch die neuen Etiketten nichts: Leistungsauftrag, Landschaftsgärtner usw Damit sind Sie spielend fertig geworden, ohne ein Jota zu verändern. Und heute schwingen Sie bei jeder kritischen Anfrage die Keule: Versorgungssicherheit. Damit ist klar, keine Widerrede! Wer es doch wagt, ist ein Vaterlandsverräter!

Für die Wahlen im Herbst intervenieren Sie in den bürgerlichen Parteien: dort, wo es möglich ist, seien die Wahlkreise so zu legen, dass viel mehr Leute vom Land (??!!) ins Parlament gewählt werden. Es habe zu viele Städter! Mindestens 25 Mandate mehr ist Ihre Wunschvorstellung. Aha!

Vor 35 (!!!) Jahren war ich neu im Parlament. Ich studierte die Liste der parlamentarischen Arbeitsgruppen (Lobbygruppen), die offenbar allen offenstehen und entschied mich, mal in die Gruppe Landwirtschaftspolitik zu gehen. Oh, den Herren – und es waren ausschließlich Herren - fielen fast die Augen aus dem Kopf und die Kiefer herunter. Auf ihren Gesichtern stand geschrieben: was will die denn da. Ich setzte mich still an den Tisch und hörte zu: da muss man noch einen Antrag einbringen, dort muss man schauen, dass noch ein Zeitungsartikel dagegen erscheint, wir brauchen Geld für die Wohlgesinnungskampagne usw. Unter Varia meldete ich mich zu Wort:

Meine Herren, ich bin Mutter und möchte meinen Kindern Milch ohne Hormone geben, ich möchte meiner Familie mal einen Sonntagsbraten auftischen, der nicht voller Antibiotika ist und Gemüse und Früchte einkaufen, die ohne Pestizide auskommen. Sie erhalten ja alle diese Millionen aus Steuergeldern, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher zu gesunden Nahrungsmitteln kommen.

Ich weiss nicht, was mich ermutigt hat so zu reden. Der Vorsitzende verdankte den Beitrag und schloss die Sitzung. Man müsste jetzt weiterarbeiten… Da war es das Gefühl: mit dem Kaffeelöffel am Felsen!

Also Herr Ritter, mein Zorn ist auf dem Papier. Nun ganz unzornig zum Persönlichen. Haben Sie Enkelkinder? Nehmen Sie sie manchmal auf den Schoss, wie ich es getan habe und schauen Bilderbücher an, vielleicht vom Landleben? Bilder vom Bauer, der das Feld bereit macht, von seinem ängstlichen Blick an den Himmel, ob man das Heu noch einbringen kann bevor das Gewitter kommt, vom Glück unter dem Apfelbaum, der rote und gelbe Früchte trägt? Naiv?

Ich glaube, ich bin sehr realistisch, was die Landwirtschaftspolitik betrifft, leider.

Monika Stocker

Wenn Sie eine Lesung oder ein Referat planen, zu dem Sie mich einladen möchten, bin ich für sehr frühzeitige Terminsuche dankbar: Kontakt per Mail

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