Lieber Beat Jans
Du hast einen fulminanten Start hingelegt, bist mitten ins heikle Thema Migration eingestiegen, hast gleich definiert, umdefiniert und ja auch provoziert. Das hat dir das Image vom Macher eingehandelt. Das wolltest du so und als Exekutivpolitiker ist das auch wichtig.
Manchmal sass ich vor dem Bildschirm und am Radio und wollte intervenieren!! Ich wollte dich warnen, schützen. Tut mir leid, eine Schwäche von mir noch immer. Ich verstehe natürlich, dass du in diesen hektischen Zeiten kaum Lust verspürst, von alt Politikerinnen irgendetwas zu hören. Ich erlaube es mir trotzdem.
Ich erinnere mich an die Asylhektik während des Balkankrieges, als ich in der Grossstadt Zürich die Verantwortung hatte. Jeweils am Abend kamen per Express die Personendossiers der Menschen, die uns gemäss Einwohnerzahl zugeteilt wurden, manchmal 10, manchmal 20, das Maximum war an einem Tag 30. Am darauffolgenden Morgen kamen dann die Personen. Unsere Aufgabe war es, diese subito unterzubringen und die Betreuung aufzunehmen. Ein hartes Stück Arbeit, denn schon damals war die Wohnungsthematik in Zürich prekär.
Niemand wollte sie «haben», in der Nachbarschaft, im Quartier, in Unterkünften nahe Schule. Es galt sich durchzusetzen mit Eloquenz und klarer Linie. Also Beat, ich bin kein Naivling!
Was ich dir erzählen möchte: Vieles erinnert mich im Migrationsthema an die permanente Hektik in der Drogenpolitik, die die Politik der 90er Jahre beherrschte. Auch für die besagte Partei und ihre populistischen Sprachrohre war klar: man muss nur wollen, dann gibt es das Problem nicht (mehr). So gab es Vorstösse, alle Drogenabhängigen in die Psychiatrie zu versenken, oder ein Drogendorf auf der Zürcher Allmend zu erstellen… also ähnlich wie heute: Lager für Asylsuchende in Rumänien u.ä. Und schon damals hat gegolten: je lauter man schreit, desto unmöglicher wird das pragmatische Handeln, die «Problemlösung», wie sie realistischerweise in der Schweizer Politik möglich ist, vielleicht muss man bald sagen war.
Deshalb: es war unumgänglich laut zu sagen: Drogen gibt es, wir können sie nur stadt- und menschenverträglich managen. Und genau das meine ich, könnte, müsste deine Botschaft zum Migrationsthema sein:
In der ungerechten Welt ist Migration eine öffentliche Aufgabe und wird es bleiben für alle Länder, insbesondere für jene, die reich sind. Deshalb gehört Migrationspolitik zu den öffentlichen Aufgaben wie andere auch.
Wir müssen vom Alarmismus wegkommen und die alltäglichen Fragen lösen, Schritt für Schritt, zusammen mit den Kantonen und Gemeinden und den NGOs. Das ist zu schaffen. Auch die Bevölkerung wird mithelfen, wenn sie richtig einbezogen wird.
2004 hat der Stadtrat von Zürich einstimmig ein Asylmanifest verabschiedet; heute Makulatur, ich weiss.
Ähnlich wie vor Jahren – und da sehe ich die Parallele in der höchsten Alarmstufe des Drogenelends - braucht es die Entwicklung einer Mehr Säulen Politik:
1. Prävention das würde bedeuten: Aussen- und Entwicklungspolitik stärken, faire Aussenwirtschaftsbeziehungen vertreten, Friedensförderung intensivieren. Die Handlungsmöglichkeiten der Schweiz gibt es, wenn auch begrenzt.
Wenn also die Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit gekürzt werden, dann musst du als Migrationsminister sagen: halt, damit zerstört ihr die präventiven Bemühungen
2. Überlebenshilfe: Alltagsbewältigung für jene, die kommen und für jene, die hier sind. Und zwar vom ersten Moment an: sie können mit Selbstverantwortung ihren Alltag organisieren, sie können arbeiten als Gegenleistung. Das schafft für die betroffenen Asylsuchenden Tagesstrukturen, sie können zeigen, dass sie etwas können, es schafft Akzeptanz bei der Bevölkerung. Es gibt im Umweltbereich und in Sozialen Institutionen hunderte von Möglichkeiten.
Das Gefühl, die bekommen alles für nichts, fällt dann weg, wenn alle Asylsuchenden ihre eigenen Angelegenheiten möglichst selbständig erledigen (sie sind ja nicht hilflos sondern haben Überleben geübt!) und mindestens während ein paar Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.
3. Therapie Traumatisierte und auch aggressive Asylsuchende, aber auch nicht begleitete Kinder und Jugendliche und Frauen in abhängigen Beziehungen brauchen besondere Betreuung. Die ist zwar Personal intensiv, aber viel "billiger" als die Repressionskosten.
Hier gibt es viele Möglichkeiten von Einbezug der Zivilgesellschaft: Jugendgruppen, Sportclubs, Familienpatenschaften…
4. Repression ist notwendig. Niemand ist naiv. Sie gehört aber ins Strafrecht und nicht ins Asylrecht. Repression hat denselben rechtstaatlichen Normen zu genügen wie für alle Menschen in unserem Land.
Zweierlei Recht ist immer falsch, schafft Zorn und bad feelings, die sich entladen in Aggression, der Teufelskreis beginnt.
Weder hat die mehrfache Strategie das Problem Drogen «gelöst» noch zum Verschwinden gebracht. Der «Markt» bleibt, zu viele profitieren davon, genauso wie im Migrationsthema. Es hat aber den Druck weggenommen und den Alarmismus gestoppt.
Angenommen, statt Milliarden in die Abwehr von Migranten zu investieren, die – wie wir Jahr für Jahr sehen – nichts bringt, würde ein Drittel der Gelder in die Mehrfachstrategie, Punkt Prävention, umgeleitet? Stell dir vor, man hätte im arabischen Frühling, statt hilflos zuzuschauen, wir die Hoffnungen der jungen Menschen mit Repression zerschlagen wurde, einen Marshallplan entwickelt, Europa, inkl Schweiz… wir hätten heute viel weniger Migration aus den Maghreb Staaten. Warum nur sehen wir das bis heute nicht?
Wir werden in den kommenden Jahren noch dringlicher mit dem Thema Migration konfrontiert werden: Umweltmigration (wer auf verdorrten Ländereien sitzt, muss fliehen oder verhungern), Kriegsmigration (die Diktatoren und die Möchtegern ewiglebenden Präsidenten zwingen Menschen zu gehen, wollen sie eine Zukunft haben.) Die Migrantinnen und Migranten verhalten sich so, wie wir es in allen Kursen unserer «freien» Wirtschaft lernen:
Da helfen keine Frontex und kein SVP-Geschrei. Das bleibt so, hier bei uns, europaweit, weltweit gar. Die Massnahmen einer mehrfachen Strategie, die alltagstauglich wirkt, können aber die Probleme gesellschafts- und menschenverträglich lösen.
Ich wünsche dir viel Nüchternheit und Kraft für sachbezogen Exekutivarbeit.
Ich hüte seit Jahren Menschen und ihre Geschichten, die realen, die fiktiven, die Zusammenhänge. Beruf und Politik haben zu einem inneren Schatz an wundersamen Elementen geführt. Seit ein paar Jahren gibt es aus dieser Schatzkammer Geschichten, Bücher, Hefte, Lesestoff. Als Autorin gebe ich dem eine Form und schenke sie an Menschen, die so neugierig und glücklich sind auf die Geschichten des Lebens.
Monika Stocker
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40 Jahre feministische Arbeit:
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